Song to Song, Terrence Malick, USA: 2017

 

 

 

Die einzige wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines reinen kindlichen Gemütes. Ein Gebilde, nicht aus diesem Borne entsprungen, kann nur Künstelei sein." (Caspar David Friedrich)

 

Mit Song to Song kommt endlich einmal wieder ein Film von Terrence Malick, dem eigenwilligsten Autorenregisseur der Gegenwart in die Kinos. Da es hierzulande nicht einmal die Spur einer Ankündigung einer Veröffentlichung seines Voyage of Time Life´s Journey gibt, kann man sich erst einmal auf Song to Song freuen. Die Rezeptionsgeschichte eines jeden Films, den Terrence Malick in diesem Jahrzehnt gemacht hat, verläuft nach einem Muster. Bei den Premieren werden sie ausgebuht, in vielen Kritiken verhöhnt und lächerlich gemacht. Das hat keinesfalls verhindert, dass ein Film wie The Tree of Life bereits jetzt schon ein Klassiker ist und alle Zeichen deuten darauf hin dass seine nachfolgenden Filme diesem Weg folgen werden.

 

Verglichen mit seinen vorherigen Filmen, dem sträflich unterschätztem To the Wonder und Knight of Cups, hat Song to Song zunächst eine leichter erkennbare Geschichte. Es ist der dritte Film von Terrence Malick, der ohne Drehbuch entstanden ist. Beim ersten Sehen habe ich geglaubt, die Intensität zu vermissen, die auf magische Weise die improvisierte Inszenierung der vorherigen Filme durch die Montage verdichtet hat, ein Eindruck, der sich bereits beim zweiten Sehen von Song to Song schon verflüchtigt hat. Die erkennbare Geschichte einer Dreiecksbeziehung zwischen den Musikern Faye und BV (Rooney Mara und Ryan Gosling) und dem Musikproduzent Cook (Michael Fassbender) stehen in einem Kontrast zu einer zentrifugalen Kraft, die jeden Moment noch flüchtiger und sogar noch fragmentierter erscheinen lassen, als in Malicks vorhergehenden Filmen. Dabei ist alles da, was Malick´s Filme seit The New World ausmachen (nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit dem wunderbaren mexikanischen Kameramann Emmanuel Lubezki): die unaufhörlich schwebenden, gleitenden Kamerabewegungen, die sich mit den Bewegungen der Darsteller zu einer eigenartigen Choreographie vereinigen. Das erscheint schon fast wie Max Ophüls mit Handkamera. Natürlich gibt es auch die aus dem Off gesprochenen Monologe, die von Anfang an zu Malick´s Filmen gehörten und die er seit The Thin Red Line verfeinert hat. Dieses seltsame Flüstern der „anderen“ ist doch sehr verwandt mit den eigenen Gedanken und Gefühlen, die einem, wenn auch unausgesprochen, während des Sehens kommen können. Wie sonst nur in The Thin Red Line ist es in Song to Song oft nicht einfach dieses Babel-ähnliche Wispern auseinanderzuhalten beziehungsweise einer bestimmte Person zuzuordnen. Und dieser Babel-Effekt ist es auch, der mich an Renoir erinnert, jenem Satz aus La Regle du jeu: „Eins ist furchtbar auf dieser Welt, dass jeder seine Gründe hat.“

 

Zwar handelt der Film von der Musikszene in Austin/Texas, doch die Konzertauszüge sind noch fragmentierter als alles , was man auch Malick´s vorherigen Filmen kennt. Oft sieht man die Protagonisten Konzerte von einer Nebenbühne aus betrachten. Als Insider scheinen sie weniger an den Darbietungen interessiert zu sein, als die begeisterten Zuschauer. Das ist auch die Verbindung zu Knight of Cups, der genau wie Song to Song von der Seite der Unterhaltungsindustrie erzählt, zu der das gewöhnliche Publikum keinen Zugang hat.

Malick´s letzten beiden Filme handeln nicht nur von Künstlern, die sich mit einem System arrangieren müssen, wo es nur ums Kaufen oder Verkaufen geht. In ihren Emotionen, Erinnerungen und Verlusten sind sie genau so vereinzelt und verloren wie die entwurzelte Pocahontas in The New World, die trauernde Familie in The Tree of Life oder Marina, die verlorene Seele in To the Wonder. Schliesslich sind sie in ihren rohen ungefiltert und noch unausgesprochenen Emotionen und Gedanken ganz nah bei uns, wenn wir den Film betrachten. Eines der Themen in Malick´s Werk ist, die Verlorenheit der Menschen und ihr verzweifelter Versuch eine bereits verlorene Identität wiederzufinden. Und gerade hier scheint Malick mit Song to Song vielleicht sogar noch einen Schritt weiter zu gehen.Der Zusammenprall mit der Schönheit der Welt und dem Schmerz und der Trauer der Protagonisten erscheint hier um eine Nuance verschärft. Seltsamerweise erscheinen hier die Protagonisten der Schönheit, die wir auf der Leinwand sehen, fast gleichgültig gegenüber zu stehen.

Besonders die Charaktere in den vorhergehenden Filmen, die bereits durch Trauer, Schmerzen und Verluste gegangen sind, haben sich dennoch eine Sinn für das Schöne bewahrt: der junge Soldat in The Thin Red Line, besonders Pocahontas in The New World, Mrs. O´ Brian in The Tree of Life oder sogar Marina in To the Wonder. In Song to Song hören wie Rooney Mara einmal sagen: I can´t bear to see the birds, because I saw them with you.“ Offensichtlich sind diese Worte aus dem Off an den Liebhaber gerichtet, der sie verlassen hat. In der Imagination konnte man die Eindrücke von Bildern der Natur, wie zum Beispiel ein Vogelschwarm , der durch den Himmel fliegt, in Malick´s Filmen fast immer mit den Protagonisten teilen, aber nicht mit Rooney Mara´s Figur in Song to Song. Die Protagonisten in Song to Song nehmen die Welt, die der Film repräsentiert offensichtlich anders war als wir vor der Leinwand. Ein anderes Beispiel: als Zuschauer durchschaut man sehr früh das gierige Besitzergreifen von Fassbinder´s Cook (einer der schlimmsten Schurken in einem Film von Malick), Mara´s und Gosling´s Figuren aber scheinen seinen Manipulationen hilflos ausgeliefert zu sein. Später wird Cook ein anderes Opfer finden und es schliesslich zu Grunde richten. Das ist schwer zu ertragen.

 

 

In seiner Autobiographie schrieb Jean Renoir über seine Indien-Reisen, wie sehr es „ihn bewegt war von der Art wie die Inder versucht haben, ihn zu berühren“. Terrence Malick ist wie Jean Renoir ein Regisseur, der die sinnlich erfahrbare Materie, aus dem die Welt besteht, feiert. Spirituelle und auch religiöse Elemente sind da auch gar kein Widerspruch. Sie sind eine Interpretation der Welt und man kann sie teilen oder auch nicht. Die Art, wie Malick´s Figuren versuchen sich gegenseitig zu berühren oder auch die Dinge um sich herum hat sehr viel mit dem zu tun, was Renoir während seiner Indien-Reise bewegt hat. In Song to Song versuchen sie verzweifelt sich gegenseitig zu berühren und oft auch so vergeblich wie in keinem anderen Film von Terrence Malick. Wie immer werden Emotionen, seelische Zustände in einem Film von Malick immer durch Körper, Bewegungen, Blicke Geräuschen (also sprichwörtlich mit der Materie des Kinos) und einer intensiven Untersuchung aller Facetten eines menschlichen Gesichts (wie man es sonst nur aus den Filmen von Bergman, Dreyer und Ghatak kennt) vermittelt. Malick´s Kino ist eines der Ehrfurcht vor der Materie aus der die Welt, uns eingeschlossen, letztendlich besteht. Ich kann es nicht oft genug sagen, der Vorwurf, Malick´s Filme seien esoterisch oder eindeutig religiöse Propaganda, ist nicht nur unfair, sondern einfach und schlicht Unsinn.

 

Es gibt einen Moment in Song to Song, der mich tief berührt hat und der schon allein Grund genug ist, den Film immer wieder anzuschauen: Es ist die kurze aber ungeheuer eindrucksvolle Präsenz der Rocksängerin Patti Smith. In einem ihrer kurzen Momente, der kaum eine Minute dauert und der unvergesslich bleibt wird ein Bild für die Poesie von Terrence Malick bietet. Patti Smith redet mit Faye – und schon allein der Dialog zwischen einer realen und einer fiktiven Person, diese Schnittstelle zwischen Fiktion und Dokument ist schon allein einzigartig. Patti Smith erzählt von ihrem Ehemann, der vor Jahren gestorben ist. Sie sagt, den Ring wolle sie behalten, weil der Verstorbene die Liebe ihres Lebens gewesen sei. Faye erzählt ihr von der verhängnisvollen Sexaffäre mit dem Musikproduzenten. Und plötzlich wird dieser kleine Dialog zu einer Beichte, die eine Frau vor einer anderen ablegt und Patti Smith wird zu einer Art spiritueller Beraterin, eine Rolle die oft nur Männern vorbehalten ist. Wie die Hände der beiden Frauen sich gegenseitig berühren und wie Patti Smith die jüngere und verstörte Frau tröstet und ihr schliesslich über die Wange streichelt, ist eine hohe Konzentration von Malick´s Poesie und seiner einzigartigen Zärtlichkeit. Dieser Moment kommt mir immer wieder in den Sinn – und das gibt es nichts , was ich dagegen tun könnte. Der Moment erinnert mich an den kurzen und ergreifenden Moment in The Tree of Life wo eine grosse schwarze Frau während der Trauerfeier mit ihren grossen Händen die von Jessica Chastain hält, um sie zu trösten. Der Moment mit Patti Smith und Rooney Mara ist dem Moment aus The Tree of Life verwandt. Die ganze Schönheit und der Reichtum des Kinos von Terrence Malick offenbart sich hier. Und solche Momente erinnern mich, warum ich die Filme von Terrence Malick liebe und wofür ich immer noch die richtigen Worte suche.

 

Die Filme von Terrence Malick – und vor allem die seit seines überraschenden Comebacks im Jahr 1998 sind einige der persönlichsten Filme und gleichzeitig die letzten Epen des amerikanischen Kinos. Dabei sind die Filme auch so amerikanisch wie die Filme des wunderbaren John Ford und gleichzeitig ist Malick einer der radikalsten Autorenfilmer des Weltkinos.

 

Rüdiger Tomczak

Link zu meiner englischen Kritik in meinem Blog zu Song to Song