für Shaan und Thérese
Ziemlich am Anfang und kurz vor dem Schluss des Films sieht man in einer Scheune auf Thome´s Bauernhof unzählige Kopien seiner mittlerweile 28 Filme in verrostenden Dosen. Ähnlich traurige Bilder mit verrostenden Filmdosen habe ich allein in den letzten 4 Jahren zweimal gesehen, in Davy Chou´s Dokumentarfilm über das Kambodschanische Filmerbe, Le Sommeil d´Or, das von den Roten Khmer fast vollständig und mutwillig zerstört wurde und später in Prabhat Pheri (Die Reise mit Prabhat) von Jessica Sadana und Sammarth Dixit, wo man auch alte Filmdosen vor sich hin rosten sieht. Kambodscha ist ein extremes Beispiel und Indien – das wissen wir - hat die Restaurierung eines erheblichen Teils ihres Filmerbes wohl schon aufgegeben. In diesem Film aber geschieht das sozusagen fast vor meiner Haustür und nicht zuletzt in einem Land wo in der letzten Zeit sehr viel über unser Filmerbe gesprochen und geschrieben wurde.
Die Weltpremiere von Rudolf Thome – Überall Blumen (der Titel bezieht sich auf den 29. und nicht realisierten Film von Thome) war ein in mehrfacher Hinsicht denkwürdiges Ereignis. Die Stimmung war gut und es wurde viel gelacht. Dabei erinnere ich mich an eine andere denkwürdige Vorführung, nämlich die von Truffaut´s Les Quatre-cent Coups 2014 in der Cinematheque in Paris. In Paris wie in Berlin schien das Publikum aus allen erdenklichen Generationen zu bestehen. Weggefährten von Thome´s oder Truffaut´s frühen Filmen bis zu sehr jungen Leuten, die meine Kinder sein könnten. Entdeckt habe ich Thome in den frühen Achtziger Jahren in einer weit zurückliegenden Zeit mit Berlin Chamissoplatz, der so ziemlich genau so alt ist wie die Regisseurin dieses Films Serpil Turhan.
Rudolf Thome – Überall Blumen ist ein bisschen wie Ozu´s Meisterwerk Bakushu, ein scheinbar leichter und oft sehr komischer Film. Die unterschwellige Melancholie vergisst man manchmal. Man nimmt sie nicht wahr, oder möchte sie nicht wahrnehmen. In meiner Erinnerung an diese Filme aber nimmt sie seltsamerweise einen grösseren Raum ein.
Der Film ist ausschliesslich auf Rudolf Thome´s Bauernhof gedreht und eines der vielen Wunder, die der Film bietet (eher ein No als ein Low budget Film), ist dieses unglaubliche – ich nenne es mal - Ozuseque Gespür für die Beziehung zwischen dem Portrait eines Menschen und der Umgebung, in der er jetzt lebt. Da wirkt nichts konstruiert oder gewollt, alles scheint gefilmt wie gesehen mit einer schlafwandlerischen Leichtigkeit.
Serpil Turhan hat in drei Filmen von Thome eine Hauptrolle gespielt, unter anderem in dem Meisterwerk Rot Und Blau aus der Zeitreisen-Trilogie. Später hat sie Thome mehrfach assistiert.
Turhan konzentriert sich hier meistens auf Alltagsrituale. Es gibt Gespräche über das Zähneputzen in seinen Filmen. Der Gartenteich wird mit Hilfe seines Sohnes gereinigt, Schnee wird gefegt. Einmal sieht man Thome beim Schreiben des Drehbuchs für seinen 29. Film. Vorher wird die geeignete Kladde ausgesucht. Selbst das kreative Arbeiten ist ganz in Thome´s Alltag eingebettet. Man sieht ihn auch oft an seinem Moana-Blog arbeiten, wie er handgeschriebene Drehbuchseiten scannt und dann hochlädt oder wie er täglich die Besucherzahl seines Blogs kontrolliert. Ein Drehbuch schreiben oder einen Film drehen ist durch diesen Blog zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden.
Der Film hat auch ein eigentümliches Gleichgewicht zwischen langen Interview und Landschaftsaufnahmen von der Umgebung des ehemaligen Bauernhofes. Zwischen diesen langen Gesprächen gibt es oft kleine Momente der Stille. Thome filmt Frösche, Rotschwänzchen und Blumen mit der gleichen Hingabe, wie er früher Filme gemacht hat. Einmal gibt es einen Moment wo sich Turhan und Thome streiten. Sie sagt ihm, er solle nicht spielen vor der Kamera und er entgegnet, dass so etwas ganz natürlich passiert sobald man vor einer laufenden Kamera präsent ist. Dieser Streit ist eigentlich über eine der Schlüsselfragen des dokumentarischen Filmens. Die Filmographie von Thome spielt nur eine gelegentliche Rolle in der Struktur des Films, die sonderbarerweise wie auf ganz natürliche Weise entstanden zu sein scheint.
Zwischen Alltäglichkeiten, unter anderem Thome´s Freude am Gärtnern gibt es in den Gesprächen immer wieder sehr traurige Momente: Der Tod eines seiner Kinder oder der Tod des wunderbaren Kameramannes Martin Schäfer. Auch der Tod eines seiner Lieblingsschauspielers Marquard Bohm hat Spuren hinterlassen. Was in dem Film spürbar ist, dass ein Menschenleben wie ein Mosaik aus sehr vielen Lebens stufen zusammengesetzt ist. Man sieht nur Fragmente, aber das Ganze ist zumindest vorstellbar. Thome als Vater mit seiner Tochter via Skype redend oder Thome , der Turhan Fotos von seiner frühen Kindheit zeigt. In nur 84 Minuten ist die Komplexität eines Menschenleben zumindest spürbar.
In einer Scheune hat Thome diverses Material aufbewahrt, Utensilien, die er in seinen Filmen verwendet hat unter anderem auch zahlreiche Filmklappen. Die sind liebevoll beschriftet mit dem jeweiligen Filmtiteln und dem Namen der Kameraleute. Es existiert auch noch eine ganze Kleiderkollektion, die speziell für die Rollen von Hannelore Elsner entworfen wurde, die in vielen seiner späteren Filme mitgespielt hat. Er ist frustriert. Kein Archiv scheint Interesse daran zu haben und einfach weggeben will er sie auch nicht. In solchen Momenten hat der Film auch etwas von der Elegie über einen grossen Filmregisseur, der von der Öffentlichkeit verlassen wurde.
Diese Bilder von den verrosteten Filmdosen geht mir nicht mehr aus dem Kopf, weisen sie doch auf die grosse Gefährdung des Filmerbes im Allgemeinen hin. Das sind die Wermutstropfen in diesem wunderschönen und zärtlichen Filmportrait.
Unter diesen Filmen, die Filmemacher über einen jeweils von ihnen Bewunderten gemacht haben, wollen mir nicht all zu viel gelungene Beispiele einfallen, ganz sicher aber Hou hsiao Hsien´s Kohi Jikou /Café Lumiere ) eine Hommage an Ozu oder Anup Singh´s Ekti Nadir Naam (Der Name eines Flusses), eine Hommage an den Bengalen Ritwik Ghatak. Und ich würde ohne zu Zögern auch Serpil Turhan´s Rudolf Thome – Überall Blumen dazu zählen.
Rüdiger Tomczak
(Der Text basiert auf meinen englischen Notizen in meinem Blog und ist an einigen Stellen erweitert worden. Der Moana-Blog, aus dem Turhan ausgiebig vorliest in diesem Film ist, hier zu finden.