Notizen zu Terrence Malicks neuem Meisterwerk Knight Of Cups

(Berlinale 2015, Wettbewerb)

 

Knight of Cups setzt die Strömungen fort, die seine drei vorherigen Filme auszeichneten. Finanziert mit stattlichen Budgets wenden sie sich aber immer radikaler von Hollywood ab. Sie sind nicht nur sehr persönliche und autobiografisch inspirierte Filme, sondern vor allem auch sehr radikale Manifestationen der von Truffaut definierten “Caméra Stylo”. Für alle die sich wundern, wie man in meinem Fall Ozu, Ford, Naruse Hou hsiao Hsien und Terrence Malick gleichzeitig lieben kann, schlage ich vor, dass es zwei Arten von grossen Filmemachern gibt. Die erste Art war fähig durch Glück, Intelligenz oder Anstrengungen ihren Platz in der Welt des Films zu finden. Die zweite Gruppe besteht für mich aus Filmemachern, die ihren Platz permanent suchen und andauernd neu definieren. Diese “Suchenden”, also Regisseure wie Malick, Ghatak und Shimizu bringen ihre ganze kreative Energie auf, nach diesem Ort zu suchen. Christian Bales Rick ist hier wie Jack in The Tree of Life oder Neil in To The Wonder (ich bezeichne sie mal beide als Variationen von Malick´s Ego) getriebene Personen, die ihren Platz in der Welt suchen. Diese “Suchenden“ sind bei Malick nicht auf Männer beschränkt. Seine eindrucksvollsten Frauencharaktere gespielt von Linda Manz, Q´Orianka Kilcher und vor allem Olga Kurylenko belegen das. Die meisten Malick´-Figuren sind entwurzelt. Diejenigen, die ein Zuhause haben, werden es im Laufe eines Filmes verlieren.

 

Nach To The Wonder, spielt Knight of Cups wieder urbanen Landschaften und zum zweiten Mal in einem zeitgenössischen Amerika. Beide Filme zeigen Welten, in der der oberflächliche Glanz zerbröckelt und die hässlichen Seiten urbaner Landschaften sich offenbaren. Die Oberfläche des Glamours wird immer wieder aufgebrochen durch Spuren des Elends. In Knight of Cups und in To The Wonder sieht man immer wieder Obdachlose in den Strassen. Dass diese Welt wie auch die mentale seiner Protagonisten gestört ist wird offenbar.

 

Bei aller Vorsicht den Begriff der autobiografischen Elemente in Malick´s letzten drei Filme zu strapazieren, kommen mir diese Filme vor, wie manchmal mehr und manchmal weniger verschlüsselte persönliche Selbstbekenntnisse, die aber immer in einem Zusammenhang mit einer globalen Vision stehen.Folgt man Niles Schwartz in seinem Essay, Malick´s Song About Himself V kann man The Tree of Life als ein Requiem für Malick´s toten Bruder sehen, folgt man Bob Turner in seinem Aufsatz zu Malicks vorletzten Film, , The Ghost Dance: Re-evaluating Terrence Malick´s darkest film dann ist To The Wonder eine Elegie über Malicks zweite Frau. Rick in Knight Of Cups ist ein Drehbuchautor und als kreative Person Malick besonders nah. Betrachtet man Rick als eine andere Variation von Malick´s Ego, dann fällt besonders ins Gewicht, dass diese drei Personen vor allem Verirrte, Herumwandernde, die immer auf der Suche nach etwas sind.

 

Der Film beginnt mit einer rezitierten Geschichte, an die sich Rick erinnert und die sein Vater ihm erzählt hat. Es geht um eine König des Ostens, der seinen Sohn nach Ägypten schickt um eine Perle zu suchen. Der Prinz aber trinkt den Wein des Vergessens und verliert die Bestimmung seiner Reise. Der König schickt ihm Hinweise, in der Hoffnung, der Sohn möge sich erinnern. Diese Einführung in den Film lässt auch ein seltsames Echo von der Tragödie Pocahontas aus The New World zurück.

 

Seit Malicks Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Kameramann Emanuel Lubezki und dessen flüssigen Handkamerabewegungen eines der dominanten Stilelemente in Malicks letzten Filmen wurden, bekommen die inneren Zustände der Protagonisten eine adäquate Verkörperung.

In vielen Einstellungen sieht man Rick in einer Wüste herumirren, genau wie der erwachsene Jack in The Tree Of Life. Dabei sehen wir nicht einfach einen Mann, der “seinen Weg” aus der Wüste heraussucht, sondern die Kamerabewegungen machen diese Suche körperlich spürbar in einer Weise, wie es nur das Kino zustandebringen kann.

 

Das Apartment, in dem Rick lebt, scheint für ihn zu gross zu sein und mit seinen vielen Türen zu unübersichtlich zu sein. Die ohnehin schon zerbrechliche Illusion zu Hause zu sein wird durch ein Erdbeben erschüttert. Als natürliches und körperlich spürbares Phänomen steht es auch für etwas, was man in diesem Film nicht direkt sehen kann, nämlich die inneren Erschütterungen Ricks, die Trauer um seine toten Bruder, der vermutlich Selbstmord begangen hat oder die schwierige Beziehung zu seinem Vater. Später wird Rick in seiner Wohnung von bewaffneten Räubern überfallen. Die sind sehr wütend, dass es hier nicht viel zu holen gibt. In seinen beiden letzten Filmen leben Malicks Charaktere in provisorisch eingerichteten Wohnungen. Siebewohnen diese Räume nicht wirklich.

 

Der Film ist strukturiert in mehrere Kapitel, die an Tarot-Karten angelehnt sind. Nun für die blinden Kritiker, die Malick immer für esoterisch halten, mag das eine Bestätigung sein. Für mich ist es einfach ein weiterer Beleg für Malicks erfrischende Inspiration und seine oft gewagte Verspieltheit. Natürlich gab es auch wieder die Vermutung, der Film sei wie To The Wonder ohne Drehbuch entstanden. Wenn dem so ist, dann ist das auch nur ein Beleg für Malick´s grenzenlose Inspiration und da ist er mit Chaplin und Shimizu in guter Gesellschaft, denn die beiden Regisseure haben auch oft nur mit ein paar Seiten Notizen einige der schönsten Werke der Filmgeschichte geschaffen.

 

Rick versucht seine Leere und seine Depressionen mit Parties zu kompensieren. Sex ersetzt hier seine gescheiterten Beziehungen zu Frauen. Er erscheint völlig absorbiert von dem Neolicht der Parties und der Bars in denen er sich versucht zu zerstreuen. Er bewegt sich in einer illusorischen Welt, der Maske des neo-liberalen Amerikas. Im wahrsten Sinne des Wortes stolpert er über Obdachlose in den Strassen von Los Angeles, sobald er diese Scheinrealität verlässt. Der Kontrast zwischen Wirklichkeit und Schein wird hier vor allem durch die Verwendung von künstlichem und natürlichem Licht dramatisiert.

 

Wie in The Tree Of Life hat auch hier der Vater-Sohn-Konflikt wieder ein besonderes Gewicht. Ricks Rebellion gegen seinen Vater is auch eine Rebellion gegen den grimmigen Gott mit dem sich Hiob auseinander zu setzen hatte. Malick´s Definition von Gott ist auch immer eine sehr körperbejahende. In den over-voice Monologen immer sehr Suffi-ähnlich, in den Bildern immer sehr körperbetont. Ricks Exzesse, seine ganz konkreten körperlichen Bedürfnisse sind weniger Sünden, die es zu überwinden gilt, sondern als notwendiger Teil seiner Pilgerreise. Nach dem Sinn der Existenz zu suchen geht bei Malick nicht ohne die Wahrnehmung der ganz konkreten Evidenz der Schöpfung, nämlich der Körper. Da fallen mir wenige noch lebende Regisseure an, die so eine Liebe und Bewunderung für die Körper von lebenden Kreaturen so zelebrieren. Ricks Such nach Frauen ist sein Problem. Die Prostituierten oder Stripperinnen, die er trifft, sind beides, Projektionen von Ricks Wünschen aber auch unabhängige Seelen, die hinter einer Maske oder eine Pose verborgen sind und doch erfahrbar sind.

 

In Knight Of Cups sieht man viele Maschinen und Apparaturen. Oft fliegen Helikopter über den Landschaften, ein paarmal fliegt ein im Start oder in der Landung begriffenes Flugzeug dicht über dem Boden vorbei. Diese Maschinen erinnern mich auch immer wieder an diese Apparate mit denen Kino gemacht word. Als Kontrast zu dieser Welt der Maschinen, der Technik , mit der Filme gemacht werden sieht man immer wieder Spuren der Nacktheit der lebenden Kreatur. Christian Bale´s Gesicht verharrt meistens in in einem Ausdruck von Depression und Hoffnungslosigkeit – er erscheint als verlorene Seele.

Es gibt auch sehr viele Autofahrten in diesem Film in einer oft völligen Übereinstimmung mit den flüssigen Kamerabewegungen. Je mehr der Film sich diese Apparaturen als Teil unserer Zivilisation vergegenwärtigt, je mehr diese flüssigen Kamerabewegungen von einer hoch kultivierten Nutzung der Apparate des Kinos zeugen, desto mehr wird wird unsere eigene Nacktheit offenbar. Wir sind nicht zu weit entfernt von der Heimatlosigkeit der Obdachlosen in den Strassen von Los Angeles.

 

Eine Frau rettet mit ihrer Hand eine ertrinkende Wespe aus einem Swimmingpool. Eine zärtliche Geste, die mich (der ich Wespen wie die Pest hasse) sehr bewegt hat. Und obwohl Malick reichlich Gebrauch macht von allem, was die moderne Filmtechnik zu bieten hat, ist Knight Of Cup symptomatisch für die späten Filme von Terrence Malick. Sie sind vor allem ein Akt der Anmut. Ich bin nicht blind für die Eleganz und vor allem die Kultivierung dieser Apparate in den Filmen von Terrence Malick. Aber was mich immer wieder zu Tränen rührt und was mit meinem eigentlichen Zugang zu seinen Filmen zu tun hat, sind immer diese unglaublichen Gesten der Zärtlichkeit und Liebe für alles, was lebt. Terrence Malick ist nicht nur wie Ritwik Ghatak ein wichtiger Sucher und Grenzgänger des Kinos. Er ist auch - und vielleicht vor allem - einer der teilnahmsvollsten Regisseure, die das Kino jemals hervorgebracht hat.

 

Rüdiger Tomczak

(Der Text ist im wesentlichen eine Übersetzung meines englischen Textes)

 

 

 

 

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